„Das werde‘ ich dir nicht verzeihen“, schreit Christin. Vorausgegangen ist ein Streit mit Christian. Eine Winzigkeit hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Danach herrscht Totenstille. Irgendwann kommt das Gespräch wieder darauf und beide einigen sich mit einem „Ach, ist schon gut …“. Die Beziehung ist besenrein, aber nicht versöhnt. Denn beide haben Vergebung nie gelernt. Kann man Vergebung lernen?
Vergeben ist Versöhnung
Vergebung können wir bei Gott lernen, der sagt: „Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken“ (Jeremia 31,34b; vgl. Hebräer 8,12, Hebräer 10,17). Die Bibel beschreibt Sünde als einen Trennungszustand von Gott, der Sünden anhäuft. Sünde vor Menschen ist immer auch Schuld vor Gott. Doch im Kreuz Jesu Christi ist Vergebung möglich geworden.
Wer an Jesus Christus glaubt, dem ist vergeben und er lebt in einer versöhnten Beziehung mit Gott (2. Korinther 5, 14-21). Diese Vergebung dringt durch Gottes Liebe tief in das Herz und verändert ihn. Er ist eine neue Schöpfung und richtet sein Leben nach Gottes Maßstäben aus: Er darf ebenfalls vergeben und lebt in versöhnten Beziehungen.
Vergebung vergibt wieder
In unserer Zeit ist Vergebung ein Fremdwort. Menschen bekommen keine zweite Chance und sind fest-gelegt auf das, was über sie in Internet und Medien gemeißelt steht. Auch legen wir uns oft selbst auf unsere Vergangenheit fest und hören nicht auf Gottes Vergebung. Doch Gott ist ein Gott der zweiten, dritten und vierten Chance. Deshalb dürfen wir anderen wieder vergeben. So wie Jesus Petrus antwortet: „Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? […] Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.“ (Matthäus 18, 21+22). Wir dürfen Jesu Unendlichkeitszeichen auch hinter unsere Vergebung setzen.
Vergeben lernen
Jesus Christus lehrt seine Jünger beten „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“. Und beauftragt sie, zu vergeben. „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Matthäus 6,12+14-15).
Vergebung ist also für Christen keine Option, sondern Auftrag Gottes. Unsere Vergebung gründet in der Vergebung Gottes. Sie gehört zu den Kernkompetenzen eines Christen. Und in unserer Vergebungsbereitschaft wird deutlich, ob wir Gottes Gnade begriffen haben. Wir dürfen und sollen Vergebung lernen, damit sich Gottes Versöhnung in dieser Welt ausbreitet.
Vergeben praktisch
Vergebung hat zuerst mit einem selbst zu tun: mit meiner Vergebungsbereitschaft im Herzen. Doch manche Schuld kann man nicht so einfach vergeben ohne sich zu vergewaltigen. Sie braucht Zeit. Dabei sollen folgende Schritte helfen:
1. Der Weg hin zur Vergebung
Dieser Schritt setzt voraus, vergeben zu wollen, es aber noch nicht zu können. Ein Gebet kann das ausdrücken: „Vater im Himmel, danke, dass deine Vergebung allen Menschen gilt. Ich will mich auf den Weg machen, … in deinem Namen Vergebung zuzusprechen. Du kennst meine Blockaden. Bitte hilf du mir auf dem Weg zur Vergebung. Amen“.
Vor dem nächsten Schritt klärt man seine Gefühle: Verletzung, Enttäuschung, Rache, … – und gibt sie Gott im Gebet. Wichtig ist, Rache an Gott zu delegieren: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben […]. Die Rache ist mein […].“ (Römer 12, 19). Eigene Schuldanteile sollen in den Blick genommen werden, denn oft gehören zwei zu einem Problem.
2. Vergebung aussprechen
Dieser Schritt ist unabhängig davon, ob die schuldige Person dabei ist. Er baut auch nicht auf Gefühle. Vergebung ist eine Willensentscheidung, die in Jesus ihre Basis hat. Ich empfehle das Beisein eines Zeugen, der mit einem betet. Dabei werden eigene Schuldanteile vor Gott bekannt und die willentliche Vergebung ausgesprochen. Auch Vergeltungsansprüche werden an Gott abgegeben. Eine Hilfe ist, diesen Schritt schriftlich festzuhalten. Wenn das geschehen ist, darf der Siegeszug Gottes anfangen. Man setzt den Anderen und sich selbst frei. Und überlässt ihn der Gnade und dem Gericht Gottes.
3. Vergebung leben
Nach ausgesprochener Vergebung beginnt die Bewährung. Oft versuchen negativen Gefühle, Oberhand zu gewinnen und die ausgesprochene Vergebung zu kippen. Da ist der Vergebungszeuge eine große Hilfe, der mit einem im Gespräch bleibt. Nach einigen innerlichen Wiederholungsrunden wird deutlich werden, dass aus Vergebung Versöhnung und Vergessen werden darf. Zum Lob und Ehre Gottes, der Vergebung möglich gemacht hat.
„Das werde ich dir noch nicht verzeihen“, heißt es nun für Christin, die sich mit Christian gestritten hat. Sie nimmt sich Zeit, um ihre Gefühle und Schuldanteile vor Gott zu klären. Und, um sich auf den Weg der Vergebung zu begeben, damit Vergebung und Versöhnung wieder stattfinden darf.
Christen, eine Familie, eine Gemeinde, die Gottes Vergebung in Jesu Christus lernen, sind ein leuchtendes Beispiel der Gnade und Liebe Gottes. Sie strahlen aus, wonach sich Menschen sehnen: Vergebung und Versöhnung mit sich selbst, mit anderen und mit Gott. Wir dürfen die Vergebung zur Ehre Gottes lernen und praktizieren. Und Gott wird seinen Segen dazu geben.
Pastor Artur Wiebe